Die ganze Welt – oder zumindest ganz Europa – blickt heute auf Großbritannien. Während derzeit jeder rätselt, ob sich das eigenwillige Inselvölkchen tatsächlich von der EU verabschiedet, gab es während der vergangenen beiden Tage in Ardingly ein Europa-Treffen der anderen Art. Südenglands größten Antikmarkt. Was dort über den Brexit gesagt wurde und welcher Promi im Schlabber-Look unterwegs war? Lest selbst.

Sie fahren auf der „falschen“ Seite, essen Baked Beans zum Frühstück und jetzt wollen sie wohlmöglich auch noch die EU verlassen. Es gibt wirklich genügend Gründe, um die Engländer reichlich seltsam zu finden. Eines aber muss man den Insel-Bewohnern lassen: Geht es um die schönen Dinge im Leben, macht ihnen niemand so schnell etwas vor. Man nehme nur den Süden des Landes. Wenige Kilometer von der hektischen Hauptstadt London entfernt liegen malerische Cottages mit wild wuchernden Vorgärten inmitten endloser Felder und grüner Hügel. Hier, wo sich die Bewohner ihr Kleinod geschaffen haben, scheint „Hochbau“ noch ein Fremdwort zu sein. Nicht einmal die Geschäfte und Pubs haben mehr als zwei Stockwerke. Alles erscheint klein, überschaubar und wunderbar gemütlich. Wer den Film „Liebe braucht keine Ferien“ kennt, der versteht spätestens hier, warum die gestresste Hollywood-Agentin Amanda Woods (Cameron Diaz) ausgerechnet in einer Gegend wie dieser nach Ruhe sucht – und ihr Glück findet. Ähnlich verträumt wie im Film ist auch die Gegend um Ardingly – ein kleines Dorf etwa 50 Kilometer südlich von London, am östlichen Zipfel der Grafschaft West Sussex. Mit seinen 1200 Einwohnern ist das Örtchen ein geradezu winziges Nest. Und doch ist der Name Ardingly nicht nur in Großbritannien vielen ein Begriff. Denn hier, versteckt auf dem Land, findet mit der „International Antique & Collectors Fair“ regelmäßig der größte Antikmarkt Südenglands statt. Die Größe des Marktes wirkt schon fast ein wenig abstrus – vor allem wenn man bedenkt, dass allein die Zahl der Händler die der Einwohner bei Weitem übersteigt. Gleichzeitig gibt es wohl kaum einen besseren Ort für einen Markt wie diesen – voller antiker Möbel, uralter Gemälde und wertvoller Keramik. Denn wer möchte sich all die zauberhaften Stein-Cottages rund um Ardingly schon mit Interieur aus dem neuesten Ikea-Katalog vorstellen?
Fernseh-Koch Jamie Oliver im Schlabber-Look
Sind die rund 1700 Händler aus ganz Europa erst einmal da, verwandeln sie das etwa 60 Hektar große Gelände des „South of England Showground“ in ihr ganz eigenes Universum. Dicht an dicht belagern sie die Rasenflächen mit ihren Waren. Manche von ihnen sind mit dem Anhänger, Wohnmobil oder Transporter da, andere mit riesigen Lastwagen. Was sich darin versteckt? Möbel, Lampen, Geweihe, Schlangenhäute, ausgestopfte Tiere, uralte Schaufensterpuppen, ausrangierte Leuchtreklame, Porzellan, Steingut, Holz- und Emaillewaren. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Wer wirklich alles begutachten will, der bräuchte weit mehr als jene zwei Tage, die ein Markt dauert. Für echte Profi-Einkäufer ist Ardingly damit vor allem eines: ein Rennen gegen die Zeit. Wer sich mit erstklassigen Antiquitäten zum Schnäppchenpreis eindecken will, muss diese gezielt suchen – und sie finden, bevor es ein anderer tut. In Ardingly wandern so Waren um die Welt: Die Inhaberin eines Antik-Ladens in Australien kauft deutsche Kaffeemühlen und Vasen bei einem Holländer; ein Asiate wiederum hat es auf dessen Schirmständer aus Frankreich abgesehen. Globalisierung zum Anfassen.

Mitte: Jamie Oliver schaut sich nach Schränken um
Weitaus entspannter lässt es der englische TV-Koch Jamie Oliver angehen. Am Morgen schlendert er im grauen Schlabber-Look über den Markt – und entdeckt kurz seine Begeisterung für einen bunt lackierten Holzschrank. Es bleibt bei kurz. Er geht weiter. Autogrammjäger? Fehlanzeige. Der erste Tag des Marktes garantiert Privatsphäre. Ein wenig zumindest. Schließlich sind es überwiegend professionelle Einkäufer, die sich den exklusiven ersten Blick auf die Waren stolze 20 Pfund Eintritt kosten lassen. Und die haben wohl Besseres zu tun, als nach prominenter Käuferkonkurrenz Ausschau zu halten. Auch unter den Verkäufern gibt sich freilich niemand die Blöße, um ein Autogramm zu bitten. Die meisten haben hier ohnehin eine andere Expertise als Klatsch-Spalten und Kochsendungen.
BBC-Serie "Bargain Hunt" – die Jagd nach dem guten Geschäft
Auch das Fernseh-Team von BBC ist nicht wegen der prominenten Gesichter, sondern der Antik-Schätzen hier. „Bargain Hunt“ nennt sich der Quotenrenner im britischen Nachmittagsfernsehen, bei dem zwei Millionen Menschen zuschauen, wie jeweils zwei Teams auf einem Antikmarkt nach gewinnbringenden Unikaten jagen. Schützenhilfe erhalten die Gruppen, die gegeneinander antreten, jeweils von einem Experten. In Ardingly ist es diesmal Experte Richard Madley, der in feinem Zwirn samt seidenem Einstecktüchlein und umzingelt von einem Kamerateam über den Markt wandelt und bereits vorab ein paar Verkäufer interviewt.

Mitte: Richard Madley und sein Kamerateam
Die wiederum dürften dankbar sein für die Aufmerksamkeit für wirklich wertvolle Stücke. Schließlich, so hört man es bei den Händlern „der alten Schule“ immer wieder, drücken seit ein paar Jahren Importeure aus Ungarn und Co. die Preise – weil sie billige „Vintage“-Massenware aus China containerweise auf die Märkte holen. Neues auf alt gemacht – preislich können Anbieter echter Antik-Waren da nicht konkurrieren. „Die richtig guten Zeiten sind längst vorbei“, sagt ein Händler, der seit 20 Jahren auf der Ardingly Antiques Fair verkauft.
Noch düsterer könnte es aussehen, wenn sich die Briten tatsächlich mehrheitlich für einen EU-Austritt entscheiden. Vor allem für kleinere Händler aus dem Ausland dürfte sich das Antik-Geschäft kaum noch lohnen, wenn zusätzlich Zoll-Gebühren fällig werden – und das würde dann nicht nur für Ardingly, sondern auch den größten Markt des Landes in Newark gelten.
Dass Antik-Liebhaber nicht automatisch auch EU-Liebhaber sind, zeigt sich in Ardingly selbst an jenen zwei Tagen, an denen hier sozusagen ganz Europa versammelt ist. Als George, ein älterer Herr aus dem Süden Englands, ins Plaudern kommt, spricht auch er plötzlich jenes Thema an, das dieser Tage ohnehin unumgänglich zu sein scheint: "You know what I'm gonna vote?", fragt er, ohne eine Antwort hören zu wollen. "I'm gonna vote OUT!" Er selbst habe nicht viel Geld, sagt George. Aber das bisschen investiere er eben gerne in schöne Dinge. Ein Vase, West German Pottery, hat es ihm angetan. Er kauft sie. Wohl in der Annahme, dass dies besser ist, als dass ein Anderer ihm das Geld wegnimmt. Der Staat zum Beispiel. Denn er habe ohnehin das Gefühl, dass England – seit es in der EU ist – ständig nur die Rechnungen für andere begleicht. Das müsse ein Ende haben. Der alte Engländer lacht. Er merkt, dass sein Gegenüber wohl nicht ganz derselben Meinung ist. "We British people are some hard folks to deal with, huh?", sagt er, erneut rein rethorisch, – und fügt hinzu: "But guess what: That's a good thing!"


